3. August 2017: Als wir die Grenze nach Kanada überqueren, kommt für Kathi ein Gefühl der Rückkehr in eine alte Heimat auf. „Hier bin ich schon mal gewesen… Das musst du sehen… Das hat früher anders ausgesehen…“ Für die nächsten Wochen wird sie zum Tour-Guide für Hannes. Etwas mehr als 6 Jahre ist es her, dass sie nach knapp 3 Jahren in Kanada zurück nach Österreich ging. Es ist schön (wieder) hier zu sein.

Die Niagara Fälle imponieren jedes Mal aufs Neue, auch wenn sie ein überrannter, touristischer Hotspot sind. Beim diesem ersten Programmpunkt unserer Kanada-Tour, steigen wir in die „Maid of the Mist“, die jetzt eigentlich anders heißt und deutlich mehr kostet. So eine Bootsfahrt in pinken Ponchos (früher waren sie blau) direkt zu den Wasserfällen sollte gemeinsam erlebt werden. Inmitten hunderter rosaroter Menschen jeglichen Alters, wird es umso lauter und vergnügter, je näher wir dem Wassernebel kommen. Alle sind nass, alle lachen und wir fühlen uns zurückversetzt ins Kindesalter.

Nächster großer Stopp unserer Tour ist Toronto. Hier hat sich wirklich einiges geändert: Viele zusätzliche Hochhäuser prägen das Stadtbild. Aus der neuen Perspektive des Radfahrers gibt es nun auch neue(?) Radwege – teilweise richtige Fahrrad-Highways. Wir lassen uns mitziehen vom Großstadttrubel und tauchen ein in Cafés, Bars und lustige Star Trek Burlesque Shows. Toronto ist cooler geworden – so scheint es zumindest. Möglicherweise wird dieser Eindruck durch das gemeinsame Erleben der Stadt geweckt. Entdeckt Kathi nun mit Hannes auch hippe Stadtteile, die sie vorher immer „übersehen“ hatte: So wie das historische Distillery District, das renoviert und zu einem Künstler- sowie Boutiqueviertel gemacht wurde. Wir schlendern durch die Gassen und staunen über Kunstprojekte.
Weiter geht die Reise entlang des Sankt Lorenz Stroms und dann ist sie endlich da – Kathis alte Heimatstadt Montréal! Wir besuchen die frühere Wohnung (nur von außen) und gehen in Parks, Lieblingsbars und -restaurants von damals. Die meisten Lokale gibt es noch. Wir chillen und sind trotzdem viel unterwegs. All das frischt einige alte Erinnerungen auf. Hannes bekommt unzählige Geschichten zu hören und lernt viele Freunde kennen. Denn das ist der wichtigste Punkt der Kanadatour: alte Freunde wiedersehen! Jeden Tag treffen wir jemanden, haben BBQs zusammen, trinken Bier oder Wein, und gehen auf große und kleine Konzerte. Wir dürfen uns bei unseren sehr guten Freunden Johanna und Guillaume einnisten und total wie zuhause fühlen – sie ist eine talentierte Jazz-Sängerin ursprünglich aus Oberösterreich und er ein landesweit bekannter Pianist. Für etwas mehr als eine Woche sagen wir „Goodbye“ zum Zigeunerleben und genießen das feste Dach, ein richtiges Bett, Küche mit Kühlschrank… Luxus pur!

Mit der guten, heimeligen Zeit kommt auch noch eine weitere positive Überraschung: die große Auswahl an gutem Essen. Supermärkte haben eine nicht enden wollende Käse-Theke, es gibt unzählige Aufstriche, Pasteten, frisches Baguette, Obst und Gemüse – alles in anständiger Qualität. Häufig gehen wir in Cafés um neben echt gutem Kaffee und Tee auch leckere Kuchen und Gebäcke zu vernaschen – wir fühlen uns wie Gott in Frankreich! Kein Wunder, ist doch die Küche der Provinz Québec wesentlich von diesem Land beeinflusst.
Während der Monate in den USA hatten wir uns angewöhnt, die Lebensmittel-Inhaltsangaben nach „genetisch modifizierten Organismen“ (GMO) zu kontrollieren, da wir Natürliches bevorzugen. Viele der Produkte, die wir von zuhause nicht kannten, trugen Hinweise auf genmanipulierte Inhalte. In Kanada sehen wir diesen Text viel seltener. Ein paar Tage später lernen wir aber, dass Kanada nun das erste Land ist, das auch genetisch veränderten Lachs serviert bekommt. Der „Vorteil“ des mit Aalmutter-Genen gepimten Frankenstein-Lachs: Er wächst doppelt so schnell und braucht weniger Futter und wird somit zur billigen Massenware. Wirklich kritisch ist jedoch, dass es in Kanada (sowie in den USA) keine Verpflichtung gibt, genetisch veränderte Lebensmittel als solche auszuweisen. Hinweise wie GMO oder Non-GMO sind freiwillig gedruckt. Niemand weiß also, ob das leckere Lachssteak von der Aalmutter abstammt oder nicht.
Wir denken zurück an die traurigen Blicke der Rinder in Kansas und diskutieren mit einem kanadischen Freund über Nahrungsmittelindustrie und den steigenden globalen Lebensmittelbedarf. Rinderfarmen wie in Kansas existieren, da immer mehr Menschen häufig und billig Fleisch essen wollen. Lachs, wie der von der Firma AquaBounty gibt es genau aus dem gleichen Grund. Auf der Radreise können wir mit dem Essen aber nicht immer wählerisch sein – benötigen wir doch sehr viel „Brennstoff“, ohne größere Vorräte verstauen zu können. In den USA und Kanada kochen wir meist selbst, da unser limitiertes Budget nicht zu viele Restaurantbesuche erlaubt. Unsere Speisen basieren meist auf Reis, Pasta, Linsen, Bohnen, Couscous… und werden mit diversen lokalen Zutaten verfeinert. Fleisch oder Fisch ist so gut wie nie dabei, da wir auch keine Möglichkeit zur Kühlung haben.

Je weiter wir nach Osten fahren und umso näher wir dem Atlantik kommen, desto reicher wird das Fischangebot – im Supermarkt wie auch im Wasser des St. Lorenz Stroms. Neben den kleinen Tierchen, werden aber auch die großen immer vielfältiger und häufiger. Mit Tadoussac erreichen wir das Schlaraffenland der Wale, wo spezielle Strömungsverhältnisse planktonreiches Meerwasser an die küstennahe Wasseroberfläche bringen. Wir sind an einem der weltweit besten Schauplätze um die Riesensäuger vom Ufer aus zu sehen. Tatsächlich dauert es nur ein paar Minuten und wir erblicken die ersten winzig-weißen Punkte im Wasser, welche Kathi sofort als Belugawale entlarvt. Etwas später bei einem besonders guten Uferplatz, sitzen wir auf einem Stein und warten gemeinsam mit einer kleinen Menge anderer Whale-Watcher. Nach ein paar Minuten kommt der erste „Bbbbssscch“-Blas und wir sehen einen schwarzen runden Rücken mit einer kleinen Finne – ein Zwergwal sagt Hallo. Er (oder sie) kommt noch zweimal hoch um Luft zu holen und macht dann beim dritten Mal einen runderen Rücken, um für die nächsten 10-15 Minuten zu verschwinden. Es folgen weitere Buckel- und Zwergwale. Wir freuen uns und genießen die Ruhe, die dieses Erlebnis mit sich bringt.
Einen ganz anderen Eindruck bekamen wir kurz zuvor als wir bei den kommerziellen Whale-Watching Bootsanlegestelle vorbei fuhren. Mehrere Firmen bieten Touren in unterschiedlichen Gruppengrößen an: Vom kleinen Schlauchboot mit etwa 5-10 Leuten, bis zum richtig großen Schiff für über 100 Menschen. Die Sicht eines Wales wird zwar garantiert, die Boote müssen jedoch einen Abstand von 100-400 Meter zu den Säugern halten, um sie nicht allzu sehr zu stören. Unser kleines Uferspektakel bringt nur Zwergwale, dafür aber in Ruhe und mit nur etwa 20 Meter Abstand zum Wal.
Kurz vor unserer Ankunft in der Walhauptstadt hatten wir einen perfekten Plan für die letzten Tage in Kanada gemacht: Gemütliches Whale-Watching und dann noch genügend Zeit um durch New Brunswick zu radeln und unseren Flug Mitte September in Nova Scotia zu erreichen. Zwei Tage nach dem Schmieden dieses Plans meldet sich jedoch unser Freund Gaël und fragt, ob wir noch ein paar Tage bei einer Bootsüberstellung mithelfen wollen. Dieses Angebot lassen wir uns nicht entgehen, und es folgen lange Überlegungen wie wir unseren „perfekten Plan“ nun entsprechend anpassen können – mit zwei vollgepackten Fahrrädern ist die Logistik nicht immer einfach. Da aus unserer ursprünglich geplanten Atlantiküberquerung leider nichts geworden ist, freuen wir uns riesig, nun wenigstens ein paar Tage auf einem Segelboot verbringen zu können – noch dazu mit Gaël auf seinem Boot der GravlaX. Wir verkürzen also das Whale-Watching in Tadoussac, nehmen die nächste Fähre wieder zurück ans Südufer, strampeln einen Tag lang „Vollgas“ nach Rimouski und steigen dort ohne unsere Fahrräder in einen Bus, welcher uns nach Gaspé – unserem Treffpunkt mit Gaël – bringt. Die nächsten 60 Stunden werden sehr abwechslungsreich, zuerst entspannt und mit wenig Wind, danach mit Regen und etwas zu viel Wind. Auch wenn dieser Törn alles andere als Badewannen-Segeln ist, freuen wir uns über die Zeit mit der Crew auf dem Boot. Am St. Lorenz Strom herrscht zur Herbstzeit „Stoßverkehr“ unter Walen, Seehunden und anderen Meeresbewohnern und die Bootsfahrt wird zu einer wahrhaften Meeres-Safari.
Whales everywhere… This time of the year it’s intense. Gaël
Nach drei intensiven Tagen auf See sitzen wir wieder auf dem Fahrrad. Wir durchqueren die hügelige und schon herbstlich-bunte Gaspésie, müssen dann aber in New Brunswick mit dem Bus ein paar hundert Kilometer „vorspulen“, da die Zeit ansonsten zu knapp wäre. Zum Abschied besuchen wir noch die Bay of Fundy – den Ort mit einem enormen Tidenhub von bis zu 15 Metern und somit den höchsten Gezeiten der Welt. Am 17. September steigen wir schließlich in das Flugzeug und verlassen Nordamerika, wo wir in den letzten 4,5 Monaten unzählig schöne Momente erleben durften.






