3. August 2017: Nach 3 Monaten und knapp 6000 km am Fahrrad verlassen wir in Buffalo, NY die Vereinigten Staaten von Amerika. Vom Silicon Valley, durch die Wüste Nevadas, über die Rockies, durch die Great Plains, bis zum Rust Belt sammelten wir viele Eindrücke. Neben den unglaublichen Landschaften, waren es vor allem die unzähligen herzlichen Begegnungen mit den Amerikanern, die uns diese Zeit in guter Erinnerung behalten lassen.
Nach dem „Trump-Unfall“ Ende letzten Jahres wussten wir nicht so recht, was uns erwarten würde. Vor allem im Zusammenhang mit den konservativeren Staaten in der Mitte des Landes waren wir mit ein paar Stereotypen „geimpft“: Religiöse Fanatiker? Waffennarren? Klimasünder? …aber auch zugängliche Smalltalker? Trendige Innovationshelden? Manche dieser Klischees haben sich bestätigt, über andere wurden wir eines Besseren belehrt. Hier lassen wir unsere Eindrücke und Begegnungen Revue passieren:

Zuspruch, in neugieriger oder motivierender Form, gab es auf Schritt und Tritt. Motorisierte Fahrer hupten und winkten uns anfeuernd zu. Vor Supermärkten wurden wir häufig nach unserer Reise gefragt. Sehr oft bekamen wir Wasser oder stärkende Snacks angeboten. Viele unterschiedliche Gastgeber nahmen uns ausnahmslos herzlich auf und wir wurden für kurze Zeit Teil ihrer Familie. Die Einblicke ins Leben vieler Menschen ließen uns auch deren Sorgen und Probleme sehen: Manche hatten mit tragischen Schicksalsschlägen zu kämpfen, andere wurden von schweren Krankheiten geplagt. Hingegen konnten wir überall auch Lebensfreude, Kreativität und Inspiration erfahren.
Da war jener Gastgeber, der durch einen Zeckenbiss an Lyme-Borreliose erkrankte und wegen damit verbundener Photophobie über Jahre nur in einem stockfinsteren Kellerzimmer leben konnte – eine extreme Belastungsprobe für ihn und seine Frau. Das Einzige, was ihm nach zahllosen gescheiterten Therapien zu einem annähernd normalen Leben verhilft, ist eine Selbsttherapie mit Bienenstichen. So wurde er zum Imker. Er lud uns auf eine Spritztour mit seinem sonnengelben Oldtimer-Kabrio ein. Für einen Moment waren alle Sorgen vergessen und wir düsten durch die Gegend – jeder mit einem dicken Grinser im Gesicht.
Da war jener Gastgeber, der am Tag unserer Ankunft seinen geliebten Bruder auf tragische Weise verlor – ein starker Kerl Anfang fünfzig, die Wohnung voller Outdoor-Equipment, Ironman Finisher und selbst Krisenberater für Fälle wie seinen. Es war seine Frau, die uns nach einer kurzen Phase des Kennenlernens entgegen ihrer Absicht die Umstände unseres Besuchs verriet. Diesen Mann knicken zu sehen und nichts tun zu können war Hilflosigkeit pur. Wir hoffen, dass er mittlerweile zurück zu seiner alten Stärke gefunden hat.
Da war das jung gebliebene Senioren-Pärchen in einer weltoffenen Kleinstadt in Colorado – beide erfolgreiche Psychologen im Ruhestand. Erst beim gemeinsamen Backen von Schnitzel und Linzer Torte wurde uns klar, was es zu bedeuten hatte, dass er seine Frau regelmäßig an die Einnahme ihrer Medikamente erinnerte: Eine degenerative Erkrankung ihres Nervensystems macht längere Prozessketten wie das Kuchenbacken zur schwierigen Konzentrationsübung. Der Humor, die Großzügigkeit und die Liebe, mit der sich die beiden gegenseitig und gegenüber der Welt präsentieren, waren berührend und inspirierend.
Da war der herausragende Fahrradmechaniker, der sich am Fuße der Rockies mit Hingabe um die geplagten Drahtesel von Radreisenden kümmert und die Wartezeit mit Bier und Burgern verkürzt. Im Laufe der Zeit erfuhren wir, dass er als privater Söldner für die US Army gearbeitet hat und ein ziemlicher – nennen wir es Waffenfreund – ist. Vieles aus seiner Trickkiste stammt offensichtlich aus der Wartung von Schusswaffen. Als wir die Einladung zur Übernachtung in seiner Wohnung annahmen und dort gemeinsam mit der Patchwork-Familie kochten, sahen wir das Leben eines Stiefvaters, der verantwortungsvoll versucht, den Alltag seines ADHS-betroffenen Stiefsohns zu verbessern.
Da waren der pensionierte UPS-Zusteller und dessen Frau in einer Kleinstadt in Colorado. Eine Freundin der beiden überredete sie, uns in deren Haus übernachten zu lassen. Zwei fremde Reisende zu Gast zu haben war wohl eine extreme Ausnahmesituation für die beiden Hinterwäldler (so nannten sie sich selbst: Rednecks). Obwohl wir quasi die „Eindringlinge“ waren, projizierte die Frau ihr eigenes Misstrauen gegenüber Fremden auf uns und versuchte uns klar zu machen, dass WIR keine Angst vor ihr haben müssten. Wenige Stunden später waren wir „best buddies“ und der Abschied am nächsten Tag fiel uns allen schwer. Dazwischen beeindruckte uns der leidenschaftliche Bastler und Hobby-Tischler mit einem VW-Käfer, den er selbst auf einen Elektroantrieb umrüstete, sowie mit zwei selbst gebauten Teardrop-Trailern und einem Haus voll schöner, selbst geschreinerten Holzmöbel.
Da war die alte Frau mit Wohnsitz im Zimmer eines maroden Motels in einer Kleinstadt in Nevada und ihr ungezogenes Handtaschen-Hündchen, das sie mit Cheeseburgern von McDonalds fütterte. Sie schwärmte für Donald Trump, orakelte, dass er wohl bald einem verschwörerischen Attentat zum Opfer fallen würde und verfluchte alle „so called Democrats“. Als wir sie fragten, was aus ihrer Sicht das Problem mit Barack Obama gewesen sei, antwortet sie, dass dieser in der Syrien-Krise eine rote Linie gezogen hätte, ohne bei deren Überschreiten aktiv geworden zu sein… warum sich die Frau von Obamas Außenpolitik betroffen fühlte, konnte sie uns nicht erklären.
Man könnte hier noch dutzende weitere Begegnungen schildern…
Egal in welchem Bundesstaat – überall waren die Menschen neugierig auf das Bild der USA im Ausland. Tendenziell wurden wir eher vom liberalen Lager angesprochen, verschanzte sich der konservativere Amerikaner doch eher hinter „Trespassers will be shot“-Schildern. Nichtsdestotrotz hatten wir natürlich auch Kontakt mit Trump-Wählern, die ebenfalls stets freundlich zu uns waren. Während in republikanischen Kreisen politische Gesprächsthemen in der Regel gemieden wurden, stand die politische Lage der Nation in demokratischen Kreisen meist schon nach einer kurzen Aufwärmphase am Programm. Viele Nicht-Trump-Wähler (niemand sagte explizit, dass er/sie Clinton gewählt hatte) wollten uns wissen lassen, wie froh sie sind, uns in ihrem Land zu sehen. Diesen Menschen war das Auftreten der aktuellen US-Administration oft peinlich und sie waren sehr darauf bedacht, das beste Bild der Amerikaner zu vermitteln.
I just wanted to let you know: If you criticize our president, this is okay with us. And if you don’t, you can still stay… but we would think you are of very poor judgement. Myra in Salida, CO
All diese Diskussionen zeigten uns, dass das Land tief gespalten ist. Mal wurde gemunkelt welcher Nachbar wohl Trump-Wähler sei. Mal wurde erklärt, dass wir nur deswegen überall herzlich willkommen seien, weil wir weiß und europäisch sind – eine Einschätzung, die wir für möglich halten. Mal erzählte uns eine junge, internationale Familie, dass sie den Kontakt mit Freunden und Verwandten im Trump-Lager abgebrochen hatte – zu stark ist der Einfluss der aktuellen Regierung auf deren persönliches Leben. Viele mittelständische Bürger fürchten um ihre Krankenversicherung oder erwarten finanzielle Einbußen wegen Budgetkürzungen in ihrer Branche.
Unser Eindruck ist, dass diese Spaltung noch tiefer werden wird, wenn die Menschen nicht mehr miteinander reden. Positiv an der aktuellen politischen Situation sehen manche hingegen, dass viele auch wach gerüttelt wurden und sich nun stärker in der Politik engagieren.

Hatten wir Kontakt mit konservativeren Leuten, wurde eher über allgemeine Themen, die persönlichen Vergangenheiten und dann oft auch über die Zeit in der Armee gesprochen. Es machte den Anschein, als wären sehr viele Amerikaner zumindest eine Zeit lang für Navy, Airforce oder Army tätig gewesen. Das Militär ist sicher einer der zentralsten Wirtschaftsfaktoren und auch eine Art Sozialprogramm in den USA. Was in den USA als „normaler“ Patriotismus verstanden wird, ist im europäisch-politischen Spektrum schon extremer Nationalismus. Veteranen und gefallene Soldaten werden bei jeder Gelegenheit als Helden der Nation geehrt. Ein offensichtlich kriegstraumatisierter Veteran, der am Memorial Day stundenlang in glühender Hitze auf einer Highway-Brücke vorbeifahrenden Fahrzeugen salutiert, würde in Europa wohl als Spinner gelten – in den USA ist er der Held von FOX News. In ländlichen Gegenden sahen wir in beinahe jedem Diner Poster oder Schilder mit nationalistischen Parolen, Veteranenhuldigungen oder Herabwürdigungen liberaler Standpunkte hängen. Amerikanische Flaggen waren omnipräsent und Waffen wurden vielerorts hochgelobt. An den Kassen vieler „Sportgeschäfte“ fanden sich Gutscheinkarten für NRA-Mitgliedschaften. Besaß jemand ein besonderes Schießeisen, wurde dieses mit großem Stolz präsentiert. Und schien sich draußen vor der Haustür Unruhe zu stiften, wurde das Gewehr schon mal griffbereit neben die Eingangstür gestellt. Als Gäste des Hauses haben wir nicht nachgefragt, ob es geladen sei. Bei dieser allgegenwärtigen Glorie von Waffen und Militär wurde uns bald klar, dass die USA nur schwer strengere Waffengesetze durchbringen wird können.
Neben den Waffen wurden in ländlichen Gebieten natürlich auch noch Gott und Jesus allerorts hochgepriesen. In regelmäßigen Abständen erinnerten uns große Transparente daran, dass Jesus uns liebt oder uns gewiss retten würde. Für jedes noch so kleine Dorf war nicht eine Kirche ausreichend, sondern es gab meist drei bis sechs verschiedene. Die unzähligen Ausprägungen des Christentums, wie mehrere Kirchen des Protestantismus, die Mennoniten, die Mormonen, die Amish, die Katholiken… bieten für jeden gläubigen Christen die Möglichkeit zum Ausleben des jeweiligen Bekenntnisses. Manchmal wurden wir von Missionaren angesprochen, jedoch konnten wir deren Bibelgeschenke schnell mit dem Verweis auf unser limitiertes Packvolumen und -gewicht abschlagen. Eine starke Pro-Life Propaganda denunziert landesweit Abtreibungen als Kindesmord – veranschaulicht auf tausenden Plakaten, die voll entwickelte Babys oder Kinder zeigen. Neben all der dogmatischen „Scheinheiligkeit“ fanden wir es hingegen rührend, wenn Priester für uns ein gutes Wort bei Gott einlegten und wir somit für unseren weiteren Weg gesegnet wurden. Auch wenn wir mit den speziellen Glaubensrichtungen teils wenig zu tun hatten, fühlten wir uns durch die schönen Worte irgendwie gestärkt und beschützt.
Der stärkste Eindruck, den wir aus den USA mitnehmen konnten, ist jedoch sicher die Freundlichkeit und Herzlichkeit, mit der uns die Amerikaner willkommen hießen. Viele unserer schönen Begegnungen haben uns gestärkt, inspiriert und neue Perspektiven geöffnet. Dafür sind wir den Menschen und unseren neuen Freunden in den USA sehr dankbar.




