In der alten Welt Europa

Kurzurlaub in Athen mit vielen Erledigungen und den Vorzügen von "zuhause"

18. September 2017: Am Horizont kommt die Morgensonne hervor und taucht das Meer unter uns in rötlich helles Licht. Die Inseln der Ägäis erwachen gerade zum Leben. Wir sind im Sinkflug nach Athen.

Es ist immer ein spannender Moment, wenn wir unsere Fahrräder bei den Gepäcksfließbändern abholen. Haben sie den Flug gut überstanden? Können wir ohne gröbere Komplikationen weiterfahren? Hannes‘ beide Bremshebel sind gebrochen, aber das Bremsen funktioniert zum Glück noch. Nachdem wir unsere Fahrräder wieder zusammen gebaut und den Schaden gemeldet haben, machen wir uns auf den ca. 30 km langen Weg in die Stadt.

Daheim in der EU

Es ist heiß… sehr heiß! Wir kommen vom kalt-feuchten, kanadischen Herbst in den griechischen Spätsommer: 40 Grad und keine Abkühlung für die nächsten Tage in Sicht! Schnell werden die Hosen nach oben gestülpt. Es ist schon später Montagvormittag und wir haben bis Donnerstagabend ein extrem dichtes Programm an „missionskritischen“ Aufgaben zu erledigen: Ein Paket aus Österreich, das unsere druckfrischen Zweitpässe und wichtige Medikamente enthält, muss abgeholt werden. Das Visum für die Einreise in den Iran muss beschafft werden. Die abgenutzten Ritzel und Ketten unserer Fahrräder müssen dringend ersetzt werden. Für den Benzinkocher brauchen wir eine neue Benzinpumpe und -flasche, weil der Transport dieser Sachen am Flughafen in Halifax verweigert wurde. Alles Dinge, die wir auf unserer weiteren Reise unbedingt brauchen werden und die wir nur noch hier in Griechenland beschaffen können, bevor uns der Weg in weniger gut versorgte Staaten führen wird. Am Donnerstagabend muss alles erledigt sein – dann geht die einzige Fähre in der Woche, die uns nach Kuşadasi in die Türkei bringen kann… denken wir.

Zuerst fahren wir also zu Anna und ihrer Mutter. Die Beiden haben das Paket für uns, das Anna – Kathis Mutter – zollfrei nach Athen gesendet hatte. Der freie Güterverkehr in der EU ist ein Segen! Als Bonus finden wir im Paket auch einen kleinen Vorrat heimischer Zotter Schokolade – Jackpot!

Das iranische Visum ist da!

Mit den zuvor in Kanada beantragten Zweitpässen fährt Hannes per Taxi quer durch die riesige Stadt zur iranischen Botschaft – und steht dort vor verschlossenen Türen. Die auf der Website angegebenen Öffnungszeiten der Botschaft gelten nicht für das Visum-Büro – ein erster Vorgeschmack auf eher chaotische Verhältnisse im Iran. Im zweiten Anlauf am nächsten Tag stellt sich heraus, dass bestimmte Versicherungsdokumente fehlen. Hannes besteht darauf, dass der Antrag trotzdem entgegen genommen wird und die Dokumente nachgereicht werden können. Er bearbeitet den Botschaftsbeamten so lange, bis dieser schließlich einwilligt – wir dürfen unsere 10 Finger auf ein Stempelkissen drücken und unsere Fingerabdrücke auf einem Blatt Papier abgeben, die fehlenden Dokumente express aus der Schweiz anfordern (Schweizerisch-schnelle Tüchtigkeit – Olé!), die Visagebühren bei einer ganz bestimmten griechischen Bank einzahlen und zwei Tage später die Visa entgegen nehmen – HEUREKA!!

You are welcome in Iran! Botschaftsbeamter in Athen

In der Zwischenzeit konnte Kathi herausfinden, dass es doch alternative Fährverbindungen in die Türkei gibt, wenn wir einen Zwischenstopp und ca. 50 „Überbrückungskilometer“ per Fahrrad auf einer der griechischen Inseln in Kauf nehmen… ein paar Kilometer Radeln auf Samos – kein Problem! Und Athen gehört uns ein paar Tage mehr! Neben den vielen organisatorischen Tasks können wir nun auch die Stadt genießen.

Und das tun wir auch voll und ganz. Vor ein paar Tagen waren wir noch in der neuen Welt, jetzt laufen wir zwischen antiken Sehenswürdigkeiten herum. Wir lieben Europa und Athen, das uns in vielerlei Hinsicht an Zuhause erinnert: ungerade, enge Gassen, alte Gebäude, gemütliche Bars, relaxte Leute, deren Sprache wir zwar nicht verstehen, aber die uns freundlich zulächeln.

Internationale Gespräche auf Panagiotis‘ Terrasse

Die Nächte in Athen dürfen wir in Panagiotis‘ internationaler Wohngemeinschaft verbringen. Er und seine einzig „echte“ Mitbewohnerin Geo sind Griechen, aber der Rest der sechs- bis sieben-köpfigen Gruppe kommt aus Frankreich, Portugal oder eben aus Österreich. Jeden Abend kommen wir alle in der Wohnung zusammen, sitzen auf der Terrasse, teilen unser Abendessen, trinken Bier oder Wein, kraulen Hector den Hund und lehren uns Wörter in unseren unterschiedlichen Sprachen. Zum Beispiel erfahren wir, wie man auf Griechisch einem Hund zu sitzen befiehlt. Wir – die zwei Deutschsprachigen – finden das ziemlich witzig:

Έκτορα, κάτσε! [sprich: Hector, katze!] Panagiotis

Am Terrassentisch in der lauen Sommernacht reden wir nicht nur über den erlebten Tag, sondern auch über die Probleme unserer Länder. Griechenland – so schön es ist – hat ja leider genug davon. Die 2010 offenkundig gewordene Staatsschuldenkrise macht den Griechen auch heute noch schwer zu schaffen. Viele Ladenbesitzer mussten schließen, da durch die Erhaltungskosten und den hohen Steuern ihre Geschäfte nicht mehr rentabel waren. Als wir die Ersatzteile für unsere Räder besorgen, erzählt auch der Besitzer des Fahrradgeschäfts, ein Mechaniker mit viel Erfahrung im Bereich hochwertiger Fahrradkomponenten in seinen 50er-Jahren, dass sein Laden schon lange nicht mehr so richtig läuft. Aber zumindest hat er noch Arbeit und nicht mehr allzu lange zur Pension. Mit Besorgnis blickt er jedoch auf die Zukunft der Jungen des Landes, die zwar eine gute Ausbildung, aber keine Arbeit haben. Sie sind abhängig von ihren Eltern und können sich selbst keine Familie leisten. Viele kluge Köpfe verlassen das Land. Wir erschrecken als wir erfahren, dass die aktuelle Jugendarbeitslosenrate unseres Gastlandes über 40 % beträgt.

Samstag frühmorgens bepacken wir schließlich wieder unsere Drahtesel und strampeln in Richtung Meer zum Hafen von Piräus. Es ist der größte Seehafen Griechenlands, sowie der größte Passagierhafen Europas. Hannes erinnert sich an eine Headline aus den Nachrichten, dass Piräus zum Großteil an ein chinesisches Unternehmen verkauft werden musste. Diese Übernahme fand im Rahmen der Privatisierungen durch das griechische Sparprogramm statt und soll den Containerumschlag und das Passagieraufkommen verbessern. Die Größe des Hafens und die hohe Anzahl der Schiffe imponieren uns. Ein riesiges Containerschiff mit der Aufschrift „China Shipping Line“ bringt Waren „Made in China“ zum europäischen Hafen „Managed by China“… es ist absurd und schade, dass es soweit kommen musste.

Wir steigen in die Fähre zur Insel Samos, auf der wir noch eine Nacht verbringen werden, bevor wir dann am 24. September auf einer ganz kleinen Fähre in die Türkei übersetzen. Auf dem Schiff nutzen wir noch schnell einen neuen Vorteil der EU: Jeder von uns ruft zuhause an. Dank der aufgehobenen Roaming-Gebühren gibt es ein angenehmes und langes Telefonat mit den Eltern, ohne Aussetzer und ohne Zeitverzögerungen. Daheim ist daheim!

2 Responses to “In der alten Welt Europa”

  • Heidrun Allert

    Ich lese eure Texte wirklich gern. Kommt gut weiter. Wo seid ihr an Weihnachten?

    • Oh sorry, dieses Kommentar habe ich ganz übersehen. Weihnachten haben wir in Chandigarh (Indien) verbracht. Richtige Weihnachtsstimmung ist hier nicht aufgekommen, aber wir haben uns kleinen Luxus mit einem guten Hotel gegönnt 🙂 Für Silvester sind wir nun in Rishikesh, wo wir sogar etwas Feuerwerk hatten.
      Freut uns sehr, wenn unsere Texte gefallen. Leider sind wir ja immer sehr im Verzug. Die Geschichten zu der wieder ganz anderen Welt „Indien“ kommen in ein paar Wochen 🙂