
9. Mai 2017: Mit dem Überqueren der Sierra Nevada tauchen wir in das Große Becken – the Great Basin – ein. Diese trockene Großlandschaft definiert sich durch ihre Abgeschiedenheit vom Meer mit der Sierra Nevada im Westen und den Rocky Mountains im Osten. Somit versickert das Wasser im Wüstensand oder es sammelt sich in Seen. Wir durchqueren das große Becken über eine ca. 850 km lange Route in Nevada und den westlichen Teil von Utah bis Cedar City. Obwohl man sich ein Becken flach vorstellen könnte, bekommen wir einige Höhenmeter in den Beinen zu spüren. Beim Great Basin handelt es sich nämlich nicht um ein einziges großes Becken, sondern es besteht aus hunderten Teilbecken, die durch nord-süd-verlaufende „Gebirgsinseln“ getrennt sind. Diese machen Nevada sogar zum gebirgigsten Staat des Landes und bereiten uns immer wieder stundenlange Anstiege und weitläufige, schnelle Abfahrten.
Uns fällt auf, dass die sich Vegetation hier umgekehrt wie in unseren heimischen Alpen entwickelt: Die Pflanzen der „Beckenböden“ auf einer Höhe von etwa 1200 Metern sind klein und karg. Oft genießen wir den angenehmen Duft des Wüsten-Beifuß, der uns beim Vorbeifahren in die Nase kommt – diese Pflanze bedeckt als einziges höheres Gewächs die endlosen Weiten der Becken. Je höher wir steigen, desto grüner wird es und wir sehen mehr und mehr Wacholder oder Kiefern. In den ganz rauen Höhen, ab 2300 m kommt dann die berühmte Bristlecone Pine vor, welche bis zu 5000 Jahre alt werden kann. Wenn sie stirbt, bleibt das tote Holz nochmal ein paar Tausend Jahre stehen und trotzt der Verwitterung. Was wir auch selbst erfahren dürfen, bekommen wir später bestätigt: In den hohen Lagen des Großen Beckens, sind die Temperaturen niedriger und der Niederschlag ist häufiger, was der wesentliche Grund für diese „umgekehrte“ Flora ist.

Die Tierwelt im „Great Basin“ ist nicht weniger speziell und beschert uns lustige Begegnungen mit Jackrabbits (Eselhasen), anderen schnell davon huschenden Nagetieren, oder mit dem Pronghorn, welcher der einzige heute noch lebende Vertreter der Familie der Gabelhornträger ist. Zwei mal halten sich abends wilde Pferde in der Nähe unseres Zeltes auf – friedlich-ruhige Zeitgenossen, die sich nicht weiter von uns stören lassen. Einmal kommt ein Mustang einer Herde direkt auf uns zu, um sich (aus sicherem Abstand) ein Bild davon zu machen, wer hier Platz in seinem Revier in Anspruch nimmt. Als wir ihm näher kommen, ist er weniger erfreut, was er uns mit seinen nach vorne gestreckten Lippen zeigt. Später in der Nacht hören wir noch seine Schritte in der Nähe unseres Zeltes, bevor wir müde einschlafen.
Die wilden Pferde sind lebende Überbleibsel aus der Zeit des Wilden Westens, die damals von den Europäern nach Amerika gebracht wurden. Auch andere Relikte aus der Zeit des Gold Rush sind häufig zu finden: Zahlreiche verlassene Minen und Geisterstädte lassen erahnen, wie viele Leute früher hier ihr Glück versucht haben müssen. Einige Minen sind auch heute noch in Betrieb – jene, die überlebt haben, sind nun großindustrielle Anlagen, in denen Kupfer, Silber und Gold abgebaut wird. Fragen wir Leute nach den wesentlichen Industrien in den Gebieten des Großen Beckens, fällt immer das Wort „Mining“.
Als Land mit sehr wenig privatem Grundbesitz wird Nevada außerdem vom Militär als Spielwiese genutzt. Als wir an einer auf unserer Karte rot schaffierten Zone vorbeikommen, haben wir schon den Verdacht, dass es sich um ein militärisches Sperrgebiet handeln könnte. Die Zone erstreckt sich über mehr als 10 km durch ein ganzes Becken. Am Horizont ist der nächste Berg. Da es spät ist, schlagen wir unser Zelt auf der anderen, nicht gesperrten Seite der Straße, in gewisser Distanz zu dieser Zone, auf.
Nachts hören wir, wie sich ein Fahrzeug nähert und nach einem kurzen Stopp wieder entfernt. Während wir am nächsten Morgen unser Frühstück essen und unsere Sachen packen, bleibt ein schwarzer Pick-Up neben uns stehen. Der uniformierte Fahrer ist Sicherheitsverantwortlicher in einer nahe gelegenen Einrichtung der Marines. Er grüßt uns freundlich und informiert uns darüber, dass er unser Lager in der Nacht inspiziert hat, weil jemand anderer unsere am Straßenrand deponierten Fahrradtaschen und die daneben liegende Benzinflasche für unseren Kocher „IED-verdächtig“ gefunden hat. Wenig später bleibt ein anderer junger Mann in seinem Pick-Up („normale“ Autos sind in Nevada gar kein Thema) neben uns stehen und informiert uns weiter:
Did you guys know that you are actually sleeping on a bombing ground?… Do you know the movie „Top Gun“? Well, this is „Top Gun“. US Navy bei unserem Zeltplatz in der Nähe vom Sperrgebiet
Am nächsten Tag sehen wir etwas Rauchend-Fliegendes am Himmel vor uns auftauchen. Noch während wir uns fragen, was das wohl sein mag, donnert der Kampfjet im Tiefflug schon über unsere Köpfe hinweg – glücklicherweise ohne Bombenabwurf. Sekunden später ist der Donnervogel auch schon wieder weg. Von der unglaublich lauten Schall- und Druckwelle bleibt uns ein Tinnitus in den Ohren und unser Adrenalinspiegel ist mit jenem in lebensbedrohlichen Extremsituationen vergleichbar.
Am 23. Mai kommen wir nach Cedar City, wo Kathi mit viel Mühe doch noch einen Bus nach Las Vegas erwischt (6 Stunden Verspätung sind hier angeblich keine Seltenheit). Schließlich darf der Flieger zur Hochzeit eines besten Freundes nicht verpasst werden! Hannes radelt in der Zwischenzeit eine Runde in den Klippen von Süd-Utah. Somit verlassen wir beide die Inspirationen des Großen Beckens und stürzen uns in die nächsten Schönheiten: Party für die eine bzw. rote Klippen für den anderen.




