Durch die Kornkammer der Staaten

Was sich zwischen den Rockies und dem Mississippi so alles tut

1. Juli 2017: Nachdem wir bereits einige Tage durch das Flachland von Ost-Colorado geradelt sind, breitet nun Kansas, der Bundesstaat inmitten der Great Plains, seine endlosen Felder vor uns aus – Mais- oder Weizenanbau soweit das Auge reicht. Am Horizont richtet sich eine Siloanlage und der Wasserturm des nächstgelegenen Städtchens auf. Wir fahren… ohne Steigung, ohne Kurven. Obwohl wir immer etwas Gegenwind haben, machen wir täglich mindestens 100 km. Es geht also gut dahin und wir lassen den Weizen an uns vorbei ziehen.

Meter machen auf endlosen Straßen

Oft sehen wir ganze Schwärme von Grashüpfern am Straßenrand vor uns davon springen. Manchmal landet der eine oder andere auf unserer Fahrradtasche und fährt dann zig Kilometer mit uns mit, um sich irgendwann wieder zu verabschieden. Der Himmel ist blau oder diesig. Die Luft ist feuchter als im Westen und abends oder nachts kommen die Gewitter. Im kleinen Zelt wirken der heftige Regen mit starkem Wind, aufleuchtenden Blitzen und kurz darauf folgenden Donnern auf Kathi doch etwas imposant. Hannes ist es egal. Gut, dass wir in Kansas sowieso nicht auf den offenen Flächen zelten können, da diese immer bewirtschaftet sind. Wir kommen ein- bis zweimal pro Tag in Ortschaften und dürfen abends unser Zelt neben dem städtischen (und meist kostenlosen) Pool aufbauen, was uns auch den Zugang zu den öffentlichen Toiletten und Duschen ermöglicht… sehr komfortabel. Die Sheriffs wollen allerorts über unsere Anwesenheit informiert werden, damit sie uns bei einer Tornadowarnung notfalls in Sicherheit bringen können. Das wird jedoch nicht notwendig, denn die ganz heftigen Stürme bleiben uns erspart.

Traurige Blicke vom Feedlot

Die scheinbar endlosen Felder werden nicht nur von diesen seltenen Städtchen unterbrochen, sondern ab und zu auch von sogenannten Feedlots – Futterstätten. Zuerst können wir aus der Ferne das dunkle Etwas am Horizont nicht identifizieren. Als wir näher kommen, sehen wir große Umzäunungen auf brauner Erde mit eingesperrten Rindern. Ein Gehege neben dem anderen. Es ist riesig. Über ein Gebiet von Quadratkilometern erstrecken sich die Anlagen mit tausenden Bullen darin. Gefüttert werden diese Tiere mit Silage, die mit LKWs in die Futterstelle gekippt wird. Grünes Gras kennen sie nicht. Wir bleiben stehen und versuchen die Größe zu begreifen. Die Rinder sehen uns und sie kommen auf uns zu bis der Zaun sie vom Näherkommen abhält. Nach ein paar Minuten steht ein Bulle neben dem anderen und die Tiere sehen uns mit traurigen Blicken an. Es ist herzzerreißend, und in diesem Moment fühlen wir uns hilflos. Wir fahren weiter in die nächste Stadt um dort etwas zu essen. In dem Lokal gibt es keine vegetarische Mahlzeit, daher wird es doch etwas mit Hühnchen. Den Rinder-Burger würden wir mit diesen Bildern im Kopf nicht hinunter bekommen.

Kansas wollte sich neben der Futterindustrie auch noch in anderen Wirtschaftszweigen etablieren. Seit 2012 sollen minimale Unternehmenssteuern das Wachstum anheizen und große Firmen anlocken – ähnlich zu den Plänen des aktuellen Präsidenten. Firmen sind zwar gekommen, uns wird aber erzählt, dass qualifizierte Mitarbeiter nur schwer zu finden sind. Die Menschen mit guten Jobperspektiven bevorzugen Staaten, in denen für die Kinder gute Bildung und attraktive Umwelt geboten wird. Weil die Unternehmen wenig Steuern zahlen, hat der Bundesstaat zu geringe Einnahmen, um soziale Sicherheit, Bildung und gute Infrastruktur bereitstellen zu können. Der Plan geht also nicht auf und heute heißt es Kansas ist pleite und die Leute sind verärgert. Unsere Gastgeberin in Hutchinson drückt es treffend aus:

Kansas messed it up. Host in Hutchinson, KS

Die angenehme Amtrak-Zugfahrt bringt uns von den Great Plains in den mittleren Westen

Wir treffen in Kansas trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sehr nette Leute und empfinden auch die Landschaft interessant – für eine Woche. Am 7. Juli beschließen wir die langen und flachen Geraden hinter uns zu lassen und steigen in den Zug. Amtrak „erspart“ uns mit der Fahrt von Newton über Kansas City nach St. Louis 800 km und somit 1,5 Wochen Radzeit. Die Abfahrt verzögert sich um zwei Stunden auf 5 Uhr Früh. Bei einer einzigen Zugfahrt pro Tag kann man nicht wählerisch sein. Die Fahrt selbst ist jedoch recht angenehm und das Zugpersonal – so wie alle Serviceleute hier in den Staaten – sehr, sehr freundlich. Ein paar Wochen nach unserer Fahrt lesen wir in der Zeitung, dass der Präsident trotz seines versprochenen 1-Billionen-Infrastrukturplans eine Amtrak-Budgetreduzierung von 630 Millionen Dollar plant. Das könnte bedeuten, dass in 220 Städten das Zugservice eingestellt würde, was vor allem die Staaten in den Great Plains betreffen könnte.

Wir sind froh noch den amerikanischen Zug erleben zu dürfen, steigen in St. Louis aus und befinden uns nun im mittleren Westen.

One Response to “Durch die Kornkammer der Staaten”

  • Francis fournier

    Bravo je vous félicitent de faire cette longue route en vélo