8. Juli 2017: Neben uns fließt der Mississippi. Ein alter Raddampfer steht bereit um Touristen zu empfangen. Wir stehen in St. Louis unter dem höchsten Bogen der Welt – dem Gateway Arch. Diese Gedenkstätte soll an die nationale Erweiterung durch Thomas Jefferson erinnern und ist das symbolische Tor zwischen Osten und Westen der Vereinigten Staaten. Mit dem Überqueren des Flusses liegt der „wilde Westen“ hinter uns und wir kommen in den Westen der alten Staaten der USA – heute mittlerer Westen genannt. Für uns sind es die Bundesstaaten Illinois, Indiana, Kentucky, Ohio und Pennsylvania, in denen wir die Herzlichkeit und Bodenständigkeit der Midwestener schätzen lernen.

Die Landschaft ist mittlerweile etwas hügeliger geworden. Wir freuen uns über die kleinen Steigungen und die darauf folgenden Möglichkeiten das Rad mal rollen zu lassen. Felder sieht man immer noch überall. Jedoch sind es hier hauptsächlich Mais- oder Erdnussfelder mit dazwischen „gestreuten“ Farmen und Wäldchen. Je weiter östlich wir kommen, desto mehr Industrie ist zu sehen. Wir erreichen den Rust Belt, welcher zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine goldene Zeit hatte und jetzt eher vor sich hin rostet. Unsere Augen freuen sich nach der endlosen Eintönigkeit der Great Plains über diese Abwechslungen. Obwohl die Temperaturen im angenehmen 20er Bereich liegen, sind wir ständig total nass. Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass unsere Merino- oder Baumwoll-Shirts nicht mehr trocknen. Sehr bald schaffen wir uns ein Shirt aus Viskosefasern an und fahren weiter… nicht mehr ganz so nass.
Die Häuser, die im zersiedelten Osten immer häufiger werden, haben alle einen perfekt gepflegten Garten mit einem perfekt gemähten Rasen. Im Gegensatz zum wilden Westen wächst hier alles üppig grün ohne speziell bewässert zu sein. Wir müssen schmunzeln als wir realisieren, dass alle Menschen, die wir draußen vor ihren Häusern sehen, der selben Tätigkeit nachgehen: Sie mähen ihren Rasen. Kleine Rasenmäher-Traktoren sind überall präsent – entweder gerade in Verwendung, oder auf Anhängern um sie zum nächsten Einsatz zu bringen. Was in Utah die ATVs waren, sind hier die Rasenmäher.
Als weiterer Unterschied zwischen Osten und Westen stellt sich die Schlafplatzsuche heraus. Da es fast kein „public land“ gibt, ist es auch kaum möglich, unser Zelt schnell mal irgendwo aufzustellen. Abgesehen davon, ist so gut wie jede Fläche besiedelt oder bewirtschaftet. Von offiziellen Campingplätzen oder Motels können wir nicht zu häufig profitieren, da sie im mittleren Westen zwei bis drei mal so viel wie im wilden Westen kosten und unser Budget zu sehr belasten würden. Die städtischen Parks, welche in Kansas immer eine sichere Zeltmöglichkeit waren, haben nun oft deklarierte Parkregeln, die Camping ausdrücklich verbieten. Positiv hingegen ist, dass die Angebote auf sozialen Gastgeberplattformen wie Couchsurfing oder Warmshowers im Osten häufiger sind. Somit dürfen wir uns nun öfters über ein festes Dach, eine warme Dusche, sowie nette Gespräche mit Gastgebern freuen. Zwischendurch stellen wir das Zelt mal versteckter, mal sichtbarer auf – abhängig davon, wie die landschaftlichen Begebenheiten sind und wie die Einheimischen reagieren.
In Saint Paul/Illinois, einem Dorf mit drei Häusern und einer Kirche inmitten von Maisfeldern, bitten wir den Pastor um Wasser. Kein Problem! Wasser ist nie ein Problem. Da es schon spät ist, fragen wir bei dieser Gelegenheit auch gleich, wo man hier am besten das Zelt aufschlagen könnte… unsere Blicke auf die vor uns liegende, riesige und wie üblich perfekt getrimmte Rasenfläche des Pastors gerichtet. Nach längerem Grübeln werden wir in das nächste, 10 km entfernte Dorf geschickt, wo campen angeblich eventuell möglich sein könnte. Wir wagen es nicht, direkter zu fragen, bedanken uns herzlich für das Wasser, fahren ein paar hundert Meter weiter und bauen unser Zelt zwischen den nächsten Maisfeldern auf. Gott vergelt’s!
Als wir eines anderen Abends im Städtchen Olney eintreffen. findet im Park gerade eine Viehmesse statt… mit gleichzeitiger Wahl der Miss Richland County Fair Queen. Die Messedirektion erlaubt uns, das Zelt am Rande des Geschehens aufzustellen, so können wir am Weg zur Toilette bei Schwein, Schaf und Rind vorbeischauen. Die Highlights der Miss-Wahl verpassen wir (leider).

Der wohl unvergesslichste Schlafplatz ist jener in Ohio – kurz nach Cincinnati. Wir kommen bei einem Park mit kleinen Pavillons und Tischen vorbei und sehen keine Parkregeln oder Öffnungszeiten. Da das dazugehörige Städtchen etwas entfernt liegt, und wir kurz zuvor in einem ähnlichen Park von den Einheimischen mit einem „Camping? Kein Problem!“ begrüßt wurden, suchen wir nicht extra die lokale Polizeistation auf. Kathi ist etwas erkältet und daher früher im Bett. Gegen 11 Uhr nachts dann das böse Erwachen: Blendendes Taschenlampenlicht im Gesicht und eine kräftige Männerstimme, die sagt:
Get out of the tent! Move slowly! Polizei Offizier in Newtown, OH
Die lokale Polizei hat einen Einsatz! Sicherheitshalber wird sofort nach Entdecken der illegalen Parkbesetzer mit zwei weiteren Polizeiautos angerückt – alle richten ihre Suchscheinwerfer auf das Nest der Verdächtigen. Die beiden werden getrennt voneinander befragt: Er – vom Ort des Geschehens etwas weggelockt; sie – verschlafen und in Unterwäsche vor dem Zelt, umgeben von hunderten Stechmücken. Es kommen die üblichen Fragen: „Woher kommt ihr? Wohin fährt ihr? Sind Alkohol oder Drogen im Spiel? Ist es in Österreich normal, das Zelt einfach so im Park aufzustellen?…“ Die Offiziere werden darüber informiert, dass es die letzten 3000 Meilen nie Probleme gab und dass zwar nach Parkregeln gesucht, aber nicht gefunden wurde. Nach Sicherstellung, dass es sich bei den beiden nicht um illegale Einwanderer oder entflohene Sträflinge handelt, werden zwei Optionen vorgeschlagen: Sie dürfen bleiben, falls sie bis um 8 Uhr am nächsten Morgen verschwunden sind; oder es wird alles abgebaut, 10 Meilen weiter gefahren, und dort in einem anderen Park wieder aufgebaut.
Wir nehmen dankend Option 1 an. Fairerweise müssen wir jedoch erwähnen, dass unsere Zusammentreffen mit anderen Sheriffs oder Offizieren stets positiv und freundlich waren und sind. Sicherheitshalber suchen wir aber in den nächsten Städten wieder regelmäßig die lokale Polizeistationen auf, was sich angenehmer auf unseren Schlaf auswirkt.
Etwas später in Ohio werden wir vor dem kommenden County gewarnt:
You will be in Amish land. Do you know what that means? Lady in Mount Vernon, OH

Wir kennen zwar die Amish, sind uns aber nicht sicher, was auf uns zukommt. Die „befürchtete“ Reise ins 19. Jahrhundert ist nicht schlimm, sondern eher überraschend. Auf den kleineren Straßen passieren wir ganz modern wirkende Häuser. Zuerst denken wir, dass hier nun doch keine Amische leben, aber dann entdecken wir in den offenstehenden Garagen die Pferdekutschen anstelle der Autos. Auch die traditionelle Kleidung mit dem Strohhut bei Männern und dem Häubchen bei Frauen verrät das Glaubensbekenntnis. Wir erfahren, dass es Amish-Gruppen mit unterschiedlichen Technologieregeln gibt. Die einen sind ganz streng und erlauben nicht mal die Benutzung von elektronischen oder motorisierten Hilfsmitteln, sei es Auto, Feldmaschinen, Handys,… Bei anderen hingegen erlaubt der Bischof die Mitfahrt in Autos, wenn ein Chauffeur fährt, oder die Benutzung von motorisierten Maschinen, solange es zum Beispiel nur ein Rasenmäher, aber kein Rasenmähertraktor ist. Die genauen Grenzen sind für uns nicht klar. Auf den stärker befahrenen Straßen entdecken wir dann jedoch sehr bald die kommerzielle Seite der Amish. Große Plakate künden Amische Holzmöbel und Handwerke an. Auch auch die Schweizer Küche wird in dieser Region stark beworben, kommt die Gruppe der Amischen ja ursprünglich aus der Eidgenossenschaft. Wir amüsieren uns über das originelle Schweiz-Gefühl und wir fragen uns, ab wann die Frauen hier wohl wählen durften.

Als quasi letzte Etappe im mittleren Westen, beschließen wir spontan Freunde in Pittsburgh zu besuchen. Sarah und Jorge kennen wir von unserer Radreise in Mexiko, wo sie uns hungrig abfingen und zu leckerer Pozole bei Jorges Eltern einluden. Die kleine Elena war damals noch in Sarahs Bauch (Achtung Schleichwerbung: Sarah ist Autorin!), aber heute ist sie eine lustige und quirrlige Dreijährige. Für ein paar Tage genießen wir das städtliche Flair mit guten Bars und Cafés, sowie das gemütlich-familiäre Beisammensein mit unseren Freunden.
Am 29. Juli führt unser Weg weiter steil nach Norden, wo wir in wenigen Tagen das Gebiet der Great Lakes erreichen werden.






Hallo ihr Lieben!
Ich muss schon sagen, ganz schön aufregend eure Reise. Insbesondere der nächtliche Überfall durch die Polizei. Das nächste mal bitte mit Pics oder noch besser im Video-log. 😂
Ich war sehr am amüsiert!! 😂 Naja im Nachhinein könnt ihr hoffentlich auch darüber lachen.
Ganz besonders freut mich aber, dass ihr (zumindest zurzeit) gut wieder in Europa angekommen seid.
Wir wünschen euch noch viele tolle Erlebnisse und vor allem Ausdauer für den weiteren Weg!
kisses
Hallo ihr zwei Lieben!
Wir freuen uns sehr von euch zu lesen und dass euch unsere kleine Geschichte gefällt 🙂 Ja, wir haben dann eh bald darüber gelacht- ist es ja auch gut ausgegangen. Video-log wäre natürlich auch nicht schlecht. Aber ich dachte es kommt jetzt nicht so gut, dass Handy rauszunehmen 😀
Mittlerweile sind wir schon wieder raus aus Europa und radeln durch die Türkei. Aber wir sind auch von der Türkei sehr positiv überrascht – von der Landschaft und den Leuten.
Vielen lieben Dank euch Zwei – und dicke Drücker!