2. Juni 2017: Nach dem radlosen „Urlaub vom Urlaub“ in Las Vegas sind wir wieder gemeinsam auf zwei Fahrrädern. Wir lassen Cedar City hinter uns und steigen auf 3100 Meter auf, um die ersten zauberhaften Sandstein-Erosionen in einem national geschützten Canyon bestaunen zu können: Cedar Breaks.

Rote, pinke und beige Steinsäulen und -rippen ordnen sich in einem großen Bogen als Amphitheater an, auf das wir von der Klippe runter staunen. Es sieht aus wie ein fragiles Kunstwerk aus Statuen und Sandburgen. In diesem Moment können wir noch gar nicht glauben, dass unser erster offizieller Canyon im Vergleich zu den „großen“ ziemlich klein ist, und dass unsere Begeisterung noch übertroffen werden wird.
Mehrere Leute bestätigen uns, dass Grand Canyon sicher einen Umweg wert sein wird. „Diese Dimensionen sind unbegreifbar,“ sagen sie. Umwege von ein paar hundert Kilometer kosten am Fahrrad jedoch schnell mal eine Woche. Wir schaffen es aber, ein Mietauto in der Kleinstadt Kanab an der Grenze zu Arizona zu organisieren und können den Fahrradumweg so auf drei Tage reduzieren, mit nur etwa 200 km mehr am Rad und wunderschönem sowie interessantem Nebenstraßen-Erlebnis. Der Umweg lohnt sich. Wir besuchen das North Rim vom Canyon, weil es näher liegt und weniger besucht ist. Und tatsächlich, die Größe und Tiefe sind unbegreifbar. Bis zu 1800 Meter ist der Canyon tief und je weiter man nach unten sieht, desto weiter sieht man in die Vergangenheit der Erde zurück. Schicht für Schicht wird eine neue Geschichte über dieses Gebiet erzählt.

Wir machen eine kurze Wanderung ein paar Hundert Höhenmeter in den Canyon hinunter. Eine beige, bewachsene Schicht wird von einer fast weißen, steil abfallenden Wand abgelöst, bis wir die sehr schöne Schicht mit rotem Sandstein, Siltstein und Kalkstein erreichen. Schade, dass wir das Auto nicht länger mieten und wir somit nicht bis zum Colorado River gehen können. Dafür müssten wir vom North Rim zwei Tage einplanen.
Grand Canyon is impressive and huge, but Bryce… Bryce is just beautiful. Camping-Nachbar in Kanab

Den Bryce Canyon National Park betreten wir über die „Hintertür“, da wir die steile und sandige „Abkürzung“ über eine Service-Straße durch die Klippen nehmen. Es ist langsam und anstrengend – am zweiten Tag schaffen wir mit Schieben ganze 20 km – aber gleichzeitig schön und einsam. Die pinke Felswand kommt uns immer näher, bis wir den Canyon in seiner ganzen Pracht direkt vor uns haben. Bryce hat die weltweit höchste Anzahl von Sandsteintürmen – auch Hoodoos genannt – auf dem engsten Raum. Es ist somit der große Bruder von Cedar Breaks, nur mit noch mehr Details, größer und beeindruckender und für uns tatsächlich der schönste aller Canyons.
Im Süden von Utah vergeht kein Tag, an dem wir nicht sagen: „Wow, so schön“. Normale Straßen winden sich durch Canyons und Klippen, immer wieder durchqueren wir National Forests, Monuments oder Parks. Wir werden verwöhnt von der einmaligen und bezaubernden Landschaft.
Bei diesen Schönheiten sind wir selbstverständlich nicht alleine auf den Straßen. Wir machen zwar nur einmal Bekanntschaft mit zwei anderen, sehr netten Radfahrern aus Frankreich, dafür begegnen uns aber unzählige Menschen in ihren Recreational Vehicles, kurz RVs. Diese Wohnwagen und Wohnanhänger verwirklichen den Traum vieler Amerikaner. Vor allem „frische“ Pensionisten übersiedeln zu tausenden in RVs und fahren in den Wilden Westen der Staaten um dort die unendliche Freiheit zu erfahren: ein „Abenteuer“ der scheinbaren Unabhängigkeit mit dem Komfort von Zuhause. RVs gibt es in allen Größen: Vom „Teardrop Trailer“ mit nur einem Bett und einer aufklappbaren Kochnische, bis zum 3-Zimmer-Wohnwagenbus mit ausfahrbaren Wohnmodulen, Satellitenschüssel, mehreren Klimaanlagen und eingebauter Garage für die ein bis zwei Harleys oder die All-Terrain Vehicles (ATVs). Ausfahrten mit dem ATV (bei uns eher Quad genannt) scheinen eine der beliebtesten „Recreation“- bzw. Erholungsaktivitäten zu sein. Wälder, Canyongebiete oder Sanddünen werden so schnell und mit lautem Motorengeknatter von Leuten erkundet, die anders wohl kaum in solche Gegenden vordringen würden. Protzige RVs sehen wir sehr viel häufiger als die kleinen Teardrops. Oft sind diese Begegnungen unangenehm, weil RV-Fahrer (ganz im Gegensatz zu professionellen Truck-Fahrern) offenbar nicht wissen, was es für einen Radfahrer bedeutet, wenn man mit unzureichendem Seitenabstand überholt.

Campinganlagen bieten nur wenige Zeltplätze an – meist sind wir auch die einzigen, die ein Zelt aufstellen – dafür gibt es überall viele RV Hookups. Der Campingplatzbesitzer in Panguitch erzählt uns, dass sich die Babyboomer-Generation für ihre Pension den großen Road Trip wünscht… und alle drei Sekunden wird in den Staaten jemand pensioniert. Das Business mit RVs ist am Boomen und hat jährlich ein Wachstum im 30%-Bereich. Der nette Campingplatzbesitzer macht sich also keine Sorgen um seine Zukunft.

Sprechen wir mit den freundlichen Besitzern der Erholungsfahrzeuge, stellt sich heraus, dass sie unsere Art zu reisen zwar sehr schätzen und auch davon beeindruckt sind, jedoch für sich den gewissen „Wie-Zuhause-Luxus“ nicht missen wollen: Haustiere, Zweit- und Drittfahrzeuge, King-Size Bett, komplette Küche, hunderte TV-Kanäle, Klimaanlagen, etc. inbegriffen. Bei Benzinpreisen von ca. 45 Cent/Liter braucht sich der freiheitsliebende Pensionist auch keine weiteren Gedanken darüber machen, was es eigentlich bedeutet, wenn man zu zweit in einem Gefährt von der Größe eines Reisebusses viele tausend Meilen und Höhenmeter durch die Gegend fährt… Nur ins Ausland fährt keiner – das wäre dann wohl schon zu abenteuerlich.
Am 17. Juni erreichen wir Colorado. Die letzte Woche in Utah war sehr heiß. Wir sehnen uns nach kühleren Temperaturen und freuen uns auf die Rockies und ihre hohen Pässe.








