Die Welt der Great Plains gliedert sich in exakt 50% Himmel oben und 50% Erde unten, getrennt durch eine perfekte Horizontale. 😉 Das „Oben“ gibt es in blau oder grau, das „Unten“ in grün oder gelb. Die endlosen Straßen verlaufen in einem strengen Nord-Süd/Ost-West Raster. Daraus ergeben sich also 4 mögliche Farbkombinationen und 4 mögliche Fahrtrichtungen, bzw. 16 theoretisch mögliche Fahrtzustände… unglaublich vielfältig also! 😉
Hier eine wunderschöne Unten-Gelb-Oben-Grau-Kombination mit zwei spannenden weißen Anomalien.
Zur landschaftlichen Vielfalt kommt eine prächtige Fauna: Man kann z.B. blinde Grashüpfer-Passagiere auf den Packtaschen beobachten. 😉 Wir haben sicher Millionen dieser Insekten im Vorbeifahren aufgeschreckt – ein Bruchteil von ihnen landet am Fahrrad und fährt dann oft für dutzende Kilometer mit.
Parallel zu den Straßen verlaufen häufig aufgelassene Eisenbahnlinien und Telegraphenleitungen.
Tausende Erdölpumpen sind eigentlich auch Relikte aus vergangenen Zeiten. Manche rosten nur noch vor sich hin, andere sind noch in Betrieb. Ein Arbeiter, der diese Anlagen überwacht, erklärt uns, dass die verbleibenden Pumpen im Schnitt nur ca. ein Barrel (ca. 160 Liter) Rohöl pro Pumpe und Tag fördern.
Leider keineswegs Geschichte sind Fleischfarmen wie diese: Auf mehreren Quadratkilometern(!) Fläche werden Rinder eng gepfärcht auf unbewachsenem Boden und in der prallen Sonne gehalten. Gras kennen diese Tiere nicht – stattdessen wird laufend Mais aus gigantischen Silos (rechts im Bild) mit LKWs an die Futterstellen der Tiere gekippt.
Als wir durch die Great Plains fahren wird gerade der Weizen geerntet, und es sind unzählige Sattelschlepper mit dem Transport von Mähdreschern beschäftigt. An den Tankstellen wird es für solche Gespanne manchmal ziemlich eng.
An vielen Kreuzungspunkten des Straßenrasters sind Siedlungen, die alle gleich aussehen: Der Getreidesilo und der Wasserturm sind schon aus 20-30 km Entfernung sichtbar. Ein paar Kirchen, eine Schule, eine Bar, ein Greißlerladen und ein kommunaler Park mit Freibad sind meistens auch vorhanden. Die paar hundert Einwohner leben in einfachen Holzhäusern, oft mit gesprinklertem und perfekt getrimmtem Vorgarten-Rasen und ein-zwei Pick-Ups in den Garagen.
Das typische Nachtquartier in Ost-Colorado bzw. Kansas: Zelten im kommunalen Park neben einem Pavillon und dem Swimming Pool. Meistens gibt es sogar fließendes Wasser und Strom… ziemlich praktisch!
In den größeren Städten wohnen wir normalerweise bei Warmshowers- oder Couchsurfing-Hosts. Kathi ist dann immer top-motiviert für alle möglichen Spielchen mit Kindern…
…und Haustieren.
Nach 2 Monaten ohne Regen in Nevada, Utah und West-Colorado brauen sich nun fast jeden Abend dunkle Gewitter zusammen…
…und nachts blitzt und donnert es dann gewaltig.
Auf unserer Route nach Osten fahren wir tagelang ohne nennenswerte Richtungsänderungen. Gegenwind und Hannes‘ Erkältung machen die Sache nicht wirklich vergnüglicher…
…und in Hutchinson beschließen wir, den Abschnitt bis St. Louis per Zug zu fahren. Nicht uninteressant: Der Bahnhof ist ständig unbesetzt und menschenleer…
…was bei Bezinpreisen von 1.9 Dollar (ca. 1,6 €) pro Gallone (ca. 4 Liter) an der Tankstelle nebenan kein Wunder ist.
Weil nur ein Zug pro Tag fährt, hat man keine Wahl, was den Zeitpunkt der Abfahrt betrifft. In unserem Fall hätte der Zug um ca. 3 Uhr morgens fahren sollen. Wirklich gekommen ist er dann so gegen 5 Uhr, also war ein kleines Nickerchen am Bahnhof unausweichlich 🙂
Als wir endlich im Zug sitzen, sind wir trotzdem alles andere als frisch 😉
Am nächsten Tag erreichen wir Kansas City, wo wir einen halben Tag Wartezeit auf den Anschlusszug haben. Wir nutzen die Zeit für einen kurzen Besuch der Stadt. Radfahrer werden dort auf lustige Art davor gewarnt, bei Schienen auf die Fresse zu fallen 🙂
Als wir dann (endlich!) in St. Louis ankommen, sehen wir schnell, dass wir dem Rust Belt näher kommen…
Verlassene Industrieanlagen lassen erahnen, dass die Stadt am Mississippi ähnlich wie viele andere Orte im mittleren Westen mit dem Niedergang von klassischen Industriezweigen zu kämpfen hat.
Diese „toten“ Industriezonen sind nicht etwa der Stadtrand, sondern Kerngebiet.
Alte Eisenbahnbrücken haben wohl schon seit mehreren Jahrzehnten keine Wartung mehr erlebt…
…und wir sind mehr als erstaunt, dass so baufällige Brücken noch immer von schweren Güterzügen befahren werden.
Natürlich hat St. Louis auch seine glänzenden Seiten. Eine davon ist der knapp 200 Meter hohe, begehbare Edelstahl-Bogen des Jefferson National Expansion Memorial im Herzen der Stadt. Dieses Monument soll das Tor zum Westen darstellen – somit sind wir ab nun wohl offfiziell im amerikanischen Osten.
Am Mississippi werden Rundfahrten mit alten Dampfschiffen angeboten.
Wir überqueren den Mississippi und kommen so nach Illinois.