Ostanatolien ist Bergland – meistens zwischen 1600 und 2200 m hoch gelegen. Als wir durchfahren bereiten sich die wenigen Wäldchen in der Gegend gerade auf den bevorstehenden Winter vor.
Wir strampeln uns jeden Tag über ein paar Pässe. An sonnig warmen Tagen ist es dort oben immer noch ganz angenehm…
…an Tagen mit Regen ist aber Winterkleidung angesagt.
Der Regen hat aber manchmal auch seine schönen Seiten.
Typisch Türkei – Teil I: Solarkraftwerke. Weil es auch viele Sonnentage gibt, werden allerorts Solarkraftwerke gebaut. Die Anlage im Bild wird gerade montiert.
Typisch Türkei – Teil II: Überall entlang unserer Strecke finden wir leere Patronenhülsen auf der Straße. Im Gegensatz zum Paradies der Waffennarren, den USA, sieht man aber in der Türkei keine Einschusslöcher auf typischen Zielen wie z.B. Verkehrsschildern. Der Grund: Die Türken würden zwar gern ihr Ego „hochballern“, dürfen aber im Normalfall keine echten Schusswaffen besitzen. Also müssen Schreckschusswaffen als Ego-Booster herhalten. Die Hülsen auf der Straße sind 9mm Platzpatronen.
Typisch Türkei – Teil III: Fake-Polizei. Nachdem wir der Versuchung zuvor an unzähligen 2D-Polizeiautos widerstanden haben, konnten wir das heuchlerische Foto letztendlich dann doch nicht lassen… 😉
Typisch Türkei – Teil IV: Zuckerindustrie. Rübezahl hätte hier seine liebe Not: Allerorts werden Zuckerrüben geerntet und zu Zuckerfabriken transportiert. Immer wieder kommen wir an riesigen Rübenbergen und langen Rüben-Verkehrsstaus vorbei.
Typisch Türkei – Teil V: Süßspeisen. Die Zuckerberge werden in Form von Baklava, Zimtringen, Okum und Halva unters Volk gebracht.
Typisch Türkei – Teil VI: Ekmek, Das Weißbrot ist zwar eine Zeit lang ganz OK, hängt uns aber mangels Alternativen am Schluss schon ziemlich zum Hals heraus. Von Schwarzbrot ist sowieso keine Spur…
Typisch Türkei – Teil VII: Döner. Macht schöner… und ein lauschiges Feuer aus brennendem Fett bringt hier niemanden aus der Ruhe, sondern gehört zum archaischen Feeling einfach dazu… Kanzerogene? Nie gehört! 🙂
Typisch Türkei – Teil VIII: Politische Islamisierung und Demokratieunterwanderung. Gebetsräume sind so selbstverständlich wie Toiletten und entlang der Straße stehen alle paar Kilometer einfache „Moscheen“ wie diese. Auf dem Plakat davor werden die „Märtyrer des 15. Juli“ gehuldigt – der Tag des gescheiterten Putschversuches, den die AKP unter Recep Tayyip Erdoğan für ihre Zwecke perfekt auzuschlachten versteht.
Kurz mal Schluss mit der Türkei. Am Abend des 15. Oktober erreichen wir eine kleine Stadt namens Refahiye. Mit ruckeliger Internetverbindung am Handy verfolgen wir den Wahlabend zur österreischischen Nationalratswahl – mit absehbarem Ergebnis. Gratulation an den „kleinen Mann“ – Volltreffer ins eigene Knie!
Die Welt dreht sich aber auch am Tag nach der Wahl von Schwarz-Blau III weiter. Auf den umliegenden Bergen bleibt schon der Schnee liegen…
…während in den Tälern noch die Schäfchen grasen…
… und am Himmel ein paar Raben flattern.
Passivhaus mal anders: In manchen Absteigen gibt es weder (funktionierende) Heizung noch dichte Fenster. Bei nächtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt finden wir das nicht ganz optimal. Stattdessen gibt es eine Teeküche und warme Decken… so kann man auch energieeffizient durch den Winter kommen! 😉
Wir erreichen Erzurum – eine Stadt mit 700.000 Einwohnern, deren Sehenswürdigkeiten man in ein paar Stunden stresslos „abarbeiten“ kann. Die bekannteste davon ist die Çifte Minareli Medrese.
Die Doppelminarett-Medrese ist eine islamische Schule aus dem 13. JH. Dem Vernehmen nach wurde je eines der beiden Minarette von einem Meister und seinem Schüler gebaut. Als sich der Schüler schließlich als der bessere Minarett-Architekt herausstellte, sprang der Meister von „seinem“ Turm in den Tod.
Die traurige Legende und der große Besucherandrang hält aber kaum ein Brautpaar in der Stadt davon ab, sich in der Çifte Minareli Medrese ablichten zu lassen.
Eine der schönen Seiten am Radreisen ist, dass es keine scharfen Grenzen sondern nur sanfte Übergänge gibt. In der Osttürkei sitzt man immer öfter auf Teppichen statt auf Stühlen. Speisen und Getränke werden auf großen geschmiedeten Kupfertableaus serviert und zum türkischen Kaffee gesellen sich irgendwann feine Pistazien… alles Vorboten auf Persien.
In Erzurum besuchen wir auch erstmals auf unserer Reise eine Moschee – die alte Ulu Camii aus dem 12. JH.
Unsere Gastgeber in Erzurum sind zwei Studenten mit Erasmus-Erfahrung in Lettland. Auszugehen „wie in Europa“ ist für sie zuhause eine Ausnahme. Als wir am Abend gemeinsam auf ein Bier gehen, landen wir nach einer relativ langen Busfahrt in einer Live-Bar, wo wir um 22 Uhr die einzigen Gäste sind. Ein einsamer Musiker spielt auf der Bühne und freut sich über den kleinen Applaus.
Wir geben ein paar Geschichten zum Besten, und schwätzen über dies und das. Politische Themen werden von den beiden tunlichst vermieden. Nur so viel: Man möchte irgendwie nach Europa. Gegen 23 Uhr fahren wir nach zwei Bier wieder zurück in die WG. Abschließend meinen die beiden, es hätte gut getan, endlich wieder mal ausgegangen zu sein.
Wir fahren weiter, genießen das Bergland und sind uns dabei einig: Auf und ab ist lustiger als im Flachland!
Am Straßenrand wird allerorts Obst und Gemüse verkauft. Bei der Dimension türkischer Krautköpfe könnte einem Angst und Bang werden… 🙂
Agri – die letzte größere Stadt vor der Grenze zum Iran: Endlich erreichen uns die lang ersehnten Ersatzteile! Eine Nach-Nachsendung, die einen langen Weg hinter sich hat.
Hannes freut ich über zwei neue Bremshebel (seine haben dem Transport im Flugzeug nach Griechenland nicht überlebt) und über optische Clips für seine Sonnenbrillen. Bremsen und Sehen fördert ja bekanntlich die Sicherheit im Straßenverkehr. 😉
Je weiter wir nach Osten kommen, umso militärischer sind Polizei und Gendarmerie ausgestattet. Irgendwann gleichen die Gendarmerieposten am Land militärisch gesicherten Anlagen mit Geschütztürmen, hohen Mauern mit Stacheldrahtkrone, Panzerfahrzeugen, etc.. Das hat seinen Grund: Die türkische Staatsgewalt muss sich hier gegen kurdische Rebellen behaupten.
Häufig kommen wir an ärmlichen kurdischen Siedlungen wie dieser vorbei. Kinder versuchen hier manchmal, uns in laufender Fahrt Gegenstände von den Hintertaschen zu reißen, doch das ist noch das kleinere Übel…
Ausgerechnet während wir durch Kurdistan fahren, versuchen die Kurden nach dem Kollaps des IS im Irak das dort entstandene Vakuum zur Gründung ihres lang ersehnten Kurdenstaates zu nutzen. Kurdische Perschmerger Milizen waren dort zuvor maßgeblich an der Zerschlagung des IS beteiligt. Die „Staatsgründung“ im Alleingang ohne internationale Allianzen führt aber (natürlich) nicht zum lang ersehnten eigenen Staat, sondern zu einem de-facto Krieg mit türkischen und irakischen Truppen – die Kurden werden dabei von zwei Seiten zerrieben.
Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung. Kaum einer der entlang der Straße herumlungernden Jugendlichen lässt die Gelegenheit aus, uns irgend etwas nachzuwerfen. Die Steine am unteren Bildrand stammen von den drei Typen im Hintergrund.
Dass westliche Länder den Kurden eigentlich wohl gesonnen sind, hat sich in der kurdischen Landjugend noch nicht wirklich herum gespochen und alles was nicht-kurdisch aussieht, wird automatisch zum türkische Feind gezählt. Unser Outfit qualifiziert uns leider wohl kaum als Einheimische…
Die urbane Fraktion unter den Kurden behandelt uns hingegen mit Respekt und Gastfreundlichkeit. Als wir bei einem kurdischen Couchsurfing-Host übernachten, läuft Abends im Fernsehen eine Art Märtyrer-Gedenksendung in der die vielen Gefallenen des aktuellen Konflikts im Irak polemisch portraitiert werden – ein paar Sekunden Ruhm für die meist jungen Krieger und Kriegerinnen.
Auf den Straßen herrscht aber alltägliches Treiben. Am Markt wird gehandelt…
…der Metzger lässt das Fleisch abhängen und stellt ein Paar Rinderbeine vor die Tür… keine Ahnung, wofür.
…die Obstverkäufer karren ihre Ware durch die Straßen.
Der Tag im schmucken Doğubeyazıt bildet den würdigen Abschluss nach 2000 km des Strampelns in der Türkei…
Doğubeyazıt, die kleine Kurdenstadt an der Grenze zum Iran, ist unser letztes Etappenziel in der Türkei.
Wir haben Glück und unserem Gastgeber gelingt es, den Wächter des geschlossenen Ishak-Pascha-Palasts zu überreden, uns für ein paar Minuten Eintritt in die Anlage aus dem 17. JH zu gewähren.
Auch sonst sind die Hügel rund um Doğubeyazıt einen Besuch Wert.
Der kleine und der große Ararat. Letzterer ist mit 5137m der höchste Berg der Türkei. Der Vulkan steht relativ allein herum und ist schon Tage bevor wir ihn errreichen sichtbar. Auch vom Iran aus werden wir den Berg später noch lange sehen.
In der Gegend des Ararat ist laut biblischer Mythologie die Arche Noahs gelandet. Also wird heute verschiedenen Felsformationen die mit etwas Fantasie nach einem Schiffsrumpf aussehen gesagt, dass es die Überreste der Arche seien. Wer will, kann in diesem Foto eine Arche finden.
Das alte Doğubeyazıt lag auf den Bergen rund um die heutige Stadt und wurde irgendwann von einem Erdbeben zerstört. Die Überreste von Befestigungsanlagen in den steilen Flanken des „Hausberges“ sind Zeugen der einstigen Stadt.
Vor uns liegen nur noch ca. 30 km jener schnurgeraden Transitstraße, die an den Grenzübergang in den Iran führt.
Kurz vor der Grenze werden wir erstmals in der Türkei an einem Checkpoint angehalten. Anfangs wissen wir nicht recht, was der junge Soldat eigentlich von uns will, als er unsere Pässe kontrolliert ohne sich wirklich für deren Inhalt zu interessieren. Als er uns um einen gemeinsamen Selfie bittet, wird der wahre Grund für seine „Amtshandlung“ klar. Wir machen gute Mine zum infantilen Spiel und finden es krass, dass so unreife Typen mitten in einer Krisenregion selbständig am Werk sind.
Wir treffen an der Grenze zum Iran ein. Kathi ist schon mit Kopftuch und Hüftkurven-Verhüllungs-Kleidung ausgestattet. Noch auf der türkischen Seite machen wir unsere letzten Lira bei einem der vielen Straßenhändler zu iranischen Rial. Der Gesichtsausdruck der Schatzmeisterin lässt jedoch wenig Freude über den „Millionensegen“ und eine gehörige Portion Misstrauen gegenüber dem Money-Dealer erkennen. 😉
Dann ist es so weit: Wir stehen vor dem Tor in eine neue Welt. Gegenüber lächeln schon Khomeini und Khamenei von einem Plakat. Die beiden Gesichter und ihr mehr als fragwürdiges Revolutionswerk werden uns die nächsten 7 Wochen ständig begleiten….
Echt super eure Foto Dokumentation. Ein Genuss.
Danke dafür (und auch für die kleinen Seitenblicke auf persönliche Erfahrungen und die allgemeine politische Lage im Land)!!! 🙂
Echt super eure Foto Dokumentation. Ein Genuss.
Danke dafür (und auch für die kleinen Seitenblicke auf persönliche Erfahrungen und die allgemeine politische Lage im Land)!!! 🙂